Namenloses Grundvertrauen
Aber wer glaubt dem, was uns verkündet wurde, und wem ist der Arm des Herrn offenbart?
Jesaja 53,1
Eine Geschichte, die ich kürzlich gelesen habe:
Ein anschauliches Beispiel >>namenlosen<< Grundvertrauens ist mir einmal in Göteborg anlässlich mehrerer von mir gehaltener Gastvorlesungen begegnet.
Ein älterer deutschstämmiger Herr, der bei den Vorlesungen als mein Übersetzer fungierte, lud mich ein, einen Abend mit seiner Frau und ihm auf einer Insel vor Göteborg zu verbringen. Erholte mich mit dem Auto ab. Während der Fahrt erzählte er mir aus seiner dramatischen Lebensgeschichte.
Er war als blutjunger Fliegeroffizier im Zweiten Weltkrieg über russischem Gebiet abgestürzt, lange verwundet im Lazarett gelegen, dann in ein sibirisches Gefangenenlager verschleppt worden, dort unter unsäglichen Entbehrungen ausgebrochen und nach Hongkong geflohen, von wo er eine Schiffsüberfahrt nach Schweden bewerkstelligt hatte. Hier war er ansässig geworden und hatte sich mit Fleiß hochgearbeitet. „Ich bin Atheist“, bemerkte er plötzlich wie in einem Nebensatz. „In Sibirien ist mir der Traum vom gütigen Gott abhanden gekommen.“ Vom anstrengenden Vorlesungstag ermüdet antwortete ich nichts darauf. Welches recht hätte ich, die nie in einem sibirischen Gefangenenlager gewesen ist, auch gehabt, seinen Äußerungen zu kommentieren?
Schließlich erreichten wir über eine lange Meeresbrücke die Insel vor Göteborg, auf der mein Gastgeber ein Waldgrundstück mit einem hübschen schwedischen Blockhaus besaß. Wir betraten ein zauberhafte Reich. Von der Eiszeit abgeschliffen runde Felsbrocken, mit Moos bewachsen, luden zu Sitzen unter dunklen Nadelgehölzen ein. Möwen zogen ihre Kreise über unseren Köpfen, und die Wellen sangen leise im Hintergrund. Anmutig schmiegte sich das Holz des niedrigen Blockhauses in die Landschaft, von einem Gürtel honiggelber Blüten umrankt.
Als wir im Haus waren, zündete mein Gastgeber ein Öllämpchen über dem Esstisch an; eine Geste, die seltsam feierlich wirkte. Ich verstand sie jedoch erst, als wir nach einem exzellenten Mahl und einer freundlichen Konversation gemeinsam mit seiner Frau zum Aufbruch rüsteten. Da stallten sich die beiden Eheleute mit mir um den Tisch, fassten einander und mich an den Händen, sagten „Danke“ und löschten das Öllämpchen wieder aus. „Es ist ein Ritual“, murmelte mein Gastgeber beim Hinausgehen, „das ich eingeführt habe. Wer die grauenhafte Kriegs- und Nachkriegszeit ausgekostet hat, und am Ende einen so herrlichen Platz der Erde sein Eigen nennen dar, wie ich, dessen herz quillt vor Dankbarkeit über...“
Dieser feine alte Herr war tiefreligiös, er wusste es bloß nicht. Was ihm abhanden gekommen war, war lediglich der Name des gütigen Gottes, zu dessen Ehre an jeder von ihm im Blockhaus verbrachten Stunde das Öllämpchen glühte. Sein Grundvertrauen hat Sibirien überlebt. (Quelle: Elisabeth Lukas, Vom Sinn des Augenblicks, Kösel-Verlag 1. Aufl. 2002, 36ff)
Jesaja 53,1
Eine Geschichte, die ich kürzlich gelesen habe:
Ein anschauliches Beispiel >>namenlosen<< Grundvertrauens ist mir einmal in Göteborg anlässlich mehrerer von mir gehaltener Gastvorlesungen begegnet.
Ein älterer deutschstämmiger Herr, der bei den Vorlesungen als mein Übersetzer fungierte, lud mich ein, einen Abend mit seiner Frau und ihm auf einer Insel vor Göteborg zu verbringen. Erholte mich mit dem Auto ab. Während der Fahrt erzählte er mir aus seiner dramatischen Lebensgeschichte.
Er war als blutjunger Fliegeroffizier im Zweiten Weltkrieg über russischem Gebiet abgestürzt, lange verwundet im Lazarett gelegen, dann in ein sibirisches Gefangenenlager verschleppt worden, dort unter unsäglichen Entbehrungen ausgebrochen und nach Hongkong geflohen, von wo er eine Schiffsüberfahrt nach Schweden bewerkstelligt hatte. Hier war er ansässig geworden und hatte sich mit Fleiß hochgearbeitet. „Ich bin Atheist“, bemerkte er plötzlich wie in einem Nebensatz. „In Sibirien ist mir der Traum vom gütigen Gott abhanden gekommen.“ Vom anstrengenden Vorlesungstag ermüdet antwortete ich nichts darauf. Welches recht hätte ich, die nie in einem sibirischen Gefangenenlager gewesen ist, auch gehabt, seinen Äußerungen zu kommentieren?
Schließlich erreichten wir über eine lange Meeresbrücke die Insel vor Göteborg, auf der mein Gastgeber ein Waldgrundstück mit einem hübschen schwedischen Blockhaus besaß. Wir betraten ein zauberhafte Reich. Von der Eiszeit abgeschliffen runde Felsbrocken, mit Moos bewachsen, luden zu Sitzen unter dunklen Nadelgehölzen ein. Möwen zogen ihre Kreise über unseren Köpfen, und die Wellen sangen leise im Hintergrund. Anmutig schmiegte sich das Holz des niedrigen Blockhauses in die Landschaft, von einem Gürtel honiggelber Blüten umrankt.
Als wir im Haus waren, zündete mein Gastgeber ein Öllämpchen über dem Esstisch an; eine Geste, die seltsam feierlich wirkte. Ich verstand sie jedoch erst, als wir nach einem exzellenten Mahl und einer freundlichen Konversation gemeinsam mit seiner Frau zum Aufbruch rüsteten. Da stallten sich die beiden Eheleute mit mir um den Tisch, fassten einander und mich an den Händen, sagten „Danke“ und löschten das Öllämpchen wieder aus. „Es ist ein Ritual“, murmelte mein Gastgeber beim Hinausgehen, „das ich eingeführt habe. Wer die grauenhafte Kriegs- und Nachkriegszeit ausgekostet hat, und am Ende einen so herrlichen Platz der Erde sein Eigen nennen dar, wie ich, dessen herz quillt vor Dankbarkeit über...“
Dieser feine alte Herr war tiefreligiös, er wusste es bloß nicht. Was ihm abhanden gekommen war, war lediglich der Name des gütigen Gottes, zu dessen Ehre an jeder von ihm im Blockhaus verbrachten Stunde das Öllämpchen glühte. Sein Grundvertrauen hat Sibirien überlebt. (Quelle: Elisabeth Lukas, Vom Sinn des Augenblicks, Kösel-Verlag 1. Aufl. 2002, 36ff)
Prediger - 8. Aug, 09:54